1. Beispiel:
Am 14.01.2009 veröffentlichte Gallup seinen “Engagement Index 2008”. Darin geht es um Engagement und Motivation der
Mitarbeiter in Betrieben. Wirklich engagierte Mitarbeiter gebe es lediglich 13%. 20% haben innerlich bereits gekündigt. 67% machen Dienst nach Vorschrift. Dazu schreibt “gmx” im Thema Karriere vom 14.01.2009:
<Allerdings sei es häufig auch so, dass Führungskräfte kein offenes Ohr für ihre Mitarbeiter haben. An diesem Punkt mache sich
bemerkbar, dass in Deutschland Führungskräfte in erster Linie nach fachlicher Kompetenz ausgewählt würden und nicht mit Blick auf ihre sozialen Fähigkeiten. Viele merkten gar nicht, wenn ihre Untergebenen die
Motivation verlieren.>
Und weiter:
<Viele Chefs seien außerdem nicht besonders talentiert darin, ihre Mitarbeiter zu motivieren. Sehr häufig zeigten sie wenig
Anerkennung für deren Leistungen - was das Engagement der Mitarbeiter hemmt.
Motivationsdämpfer seien in vielen Unternehmen auch die formalistischen Regelungen zum Einstieg in den Beruf oder zum Wechsel
zwischen verschiedenen Positionen. Deutsche Arbeitgeber seien da oft strikt. "Das fängt damit an, dass Personalentscheider häufig sehr geradlinige Lebensläufe bevorzugen und geht damit weiter, dass man oft
nicht einmal vom Marketing ins Controlling wechseln kann", sagte Hofert. Mehr Flexibilität dabei könne auch mehr Motivation bedeuten.>
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2. Beispiel:
Horst-Eberhard Richters typologische Beschreibung des Karrierismus
(in: Flüchten oder Standhalten, Reinbek 1976, S.203-207)
Horst-Eberhard Richter sieht im Karrierismus eine starke Barriere gegen eine freie Entfaltung von kreativ-fachlicher und an der Humanität orientierter Kompetenz. Er sieht beim Karrierismus zwei Aspekte am Wirken. Einmal den individuellen Aspekt und als Hauptdeterminante den institutionellen Aspekt. Beide wirken zusammen.
Der individuelle Aspekt:
Die zum typischen Karrieristen prädestinierten Personen müssen erstens ehrgeizig sein. Sodann haben sie besondere Gruppenängste:
„Sie leiden unter maßlos gesteigerten Befürchtungen, gedemütigt und kleingemacht zu werden.“ (S. 205). Sie können von vornherein keine echten Freundschaften schließen. Beispielsweise in sozialen Berufen geht
es ihnen weniger um die Sache selber, sondern um „die Sicherung einer überlegenen Position, die man als Lehrer, Arzt oder dergleichen gegenüber Schülern oder Patienten hat.“ (S.205). Richter kommt zu dem
Schluß: „Ihre angstbedingte Unfähigkeit zu einem solidarischen Verhalten lässt sie den Weg nach oben suchen und finden, wo es ihnen letztlich nur um die Machtmittel geht, sich die Mitmenschen vom Leibe zu halten,
von denen sie sich auf gleicher Ebene zu sehr bedroht fühlen.“ (S.205). Wenn sie in verantwortliche Positionen kommen, ergibt sich nicht nur Blindheit für die eigene Unreife, „sondern fixiert diese
obendrein“ (S.204). Viele entwickeln eine „geradezu machiavellistische Eleganz im opportunistischen Taktieren.“ (S.206). Des weiteren kennt Richter als Psychoanalytiker „fast unglaublich scheinende
Beispiele von Karrieren, die sich derartige überkompensatorische Taktiker mit einem Minimum an echtem Sachwissen verschafft haben.“ (S.206).
Der institutionelle Aspekt:
In den Institutionen herrscht lt. Richter „das Prinzip, dass auf jeder Stufe der Hierarchie ein Maximum an Manipulierbarkeit von
oben und eine Tendenz zur Weitergabe dieser Manipulation nach unten begünstigt wird. Der überkompensatorische Karrierist passt in geradezu idealer Weise in dieses System hinein. Er ist erhaben über den Verdacht,
allzu eng mit den Klienten oder auch mit den Arbeitskollegen an der Basis paktieren zu wollen. Er sucht ja nicht primär eine Selbstverwirklichung in einer kommunikativen Gemeinschaft mit seinesgleichen…“
(S.205 f.). Zu diesem Manipulationsprinzip der Institutionen gehört es offenbar typischerweise, dass der Karrierist „die ihm untergeordneten, aber fachlich überlegenen Mitarbeiter mit Tricks in Schach“ hält.
(S.206). Denn mangelnde Sachkenntnis ist ein Grundmerkmal vieler Karrieristen, weil der typische Karrierist “sich wegen seines Rivalitätsgerangels meist keine besonders gründlichen Sachkenntnisse in den
Arbeitsfeldern verschaffen konnte.“ (S.206).
Es existiert das bekannte institutionelle Überwachungs- und Zensurbedürfnis, das Richter aus der Psychologie des Karrieristen
folgendermaßen ableitet: „Die Unsicherheit aufgrund seiner mangelhaften Sachkompetenz wird ihn darauf bestehen lassen, lückenlos über alles informiert zu werden, was unter ihm geschieht. Umgekehrt wird er den
Informationsfluß nach unten so drosseln, dass er stets über eine überlegene Orientierung verfügt.“ (S.206).
Als erster Institutsdirektor der 1962 neugegründeten Gießener Psychosomatischen Klinik, an der Horst-Eberhard Richter maßgeblich an
wissenschaftlicher Forschung, institutioneller und klinischer Praxis mitwirkte, hat er sicherlich etliche Erfahrungen mit dem Wissenschaftsbetrieb generell machen können. Vermutlich deshalb kommt Richter nun zum
Ende des Themas - als ein markantes und aufschlussreiches Beispiel - auf Wissenschafts-Institutionen
zu sprechen – und wie sich die Interaktion von individuellem und institutionellem Aspekt des Karrierismus dort darstellt.
„Vor allem in praktischen Disziplinen, in denen von einer relativ ungesicherten theoretischen Basis aus operiert wird und wo die
Nachwuchsförderung in erster Linie eine Angelegenheit dominierender Schulen und ihrer Repräsentanten ist, kommen die allermerkwürdigsten Beförderungen zustande. Während in den letzten Jahren grelles Licht auf
seltsame Professorenberufungen aus politisch ideologischen Gründen fiel [vermutlich sind von Richter die sog. ‚SPD-Professoren’ Anfang der 70er Jahre gemeint; Anm. d.Verf.], vollziehen sich im Dunkel
wohlgehüteter Diskretion laufend Besetzungen hoher Stellen, bei denen nicht eine allgemeine politische Konfession, dafür aber eine opportunistische Unterwerfung unter herrschende Schulmeinungen oder angebotene
Erfüllungsdienste für örtliche Potentaten prämiiert werden. Natürlich liegt es im Wesen eines solchen Beförderungssystems, dass es sich an dem Ort immer wieder zu reproduzieren pflegt, wo es sich einmal eingespielt
hat. Sind die höheren Ränge einer Hierarchie erst einmal mit Personen besetzt, die alle durch eine ihnen an sich unangemessene Verantwortung überfordert sind, so erhält sich das Gleichgewicht des Manipulierens und
Manipuliertwerdens ganz automatisch dadurch, dass freie Positionen immer wieder mit den gleichen korrumpierbaren Charakteren besetzt werden.“ (S.206 f.).
Solche Karrieristen in leitenden Positionen fördern folglich höchstens Leute, die ihresgleichen sind (sofern diese wiederum
schwächer erscheinen als sie selber). „So kommt dann eine Personalstruktur zustande, die bewirkt, dass keine starken Impulse von der Basis her einströmen können und dass ein generelles defensives Taktieren
[Hervorhebung vom Verf.] überall Isolation verstärkt, Spontaneität unterdrückt und die Korruption in der Beziehung zwischen den Menschen und Gruppen fördert.“ (S.207). Gleichzeitig wird aufgepasst, „dass sich auf den niederen Rangebenen keine bemerkenswerten Solidarisierungen von Gruppen abspielen“ (S.206), die den leitenden Figuren bedrohlich werden könnten. Je mehr die einzelnen an ihren Arbeitsplätzen isoliert sind, umso stabiler ist diese Struktur des Karrierismus. (Eine genauere Definition von
Korruption findet sich in der Wikipedia.)
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3. Beispiel:
Erziehungsinstitutionen und Schulen
Hier ergibt sich in der Regel ein Herumlavieren zwischen einer Erziehung nach den Anforderungen der Wirtschaft - also nach Maßstäben
von Personen bestehend aus in der Regel seelisch unterentwickelten und oft genug bourgeoisen Nieten in Nadelstreifen
einerseits und andererseits einer Erziehung nach humanistischen Kriterien. Dabei liegt ‘selbstverständlich’ statistisch gesehen das Hauptgewicht bei den ersteren Maßstäben. (Glücklicherweise nicht mehr bei den früheren Maßstäben des Kasernenhofbetriebs und der Fabrikdespotie). Das drückt sich vor allem in der Art der offiziellen Auswahl der Erzieher, Lehrer, Pädagogen, Leiter, Rektoren usw. aus und in der Art der Ausgestaltung der Institutionen.
Der deutsche ‘Ordoliberalismus’ sieht die Rolle des Staates lt. Foucault folgendermaßen:
<...Der Staat hat in dieser Sichtweise die Aufgabe, das Humankapital für die Wirtschaft durch ein effizientes
Gesundheitswesen, durch eine gute Bildungspolitik usw. sicherzustellen. Er hat aber auch für kulturelle Werte zu sorgen, die einen Ausgleich für alles Kalte und Berechnende des wirtschaftlichen Wettbewerbs bieten
sollen. > (S.77)
Aus der Zeitschrift “Information Philosophie” 2/2007, S.77. Darin unter
dem Stichwort “Ausgaben” der Artikel <Michel Foucaults “Geschichte der Gouvernementalität”>
Humanistische Schulen beispielsweise sind (dementsprechend) die Ausnahme, wie man aus dem folgenden Beispiel herauslesen kann:
<In Elze bei Hannover versucht eine Grundschule, “mit Adorno Schule zu machen”.
Anfang der 90er Jahre kam Norbert Hilbig als Rektor nach Elze und hatte die Idee, die Hauptschule nach Adorno zu benennen, was zunächst auf erbitterten Widerstand stieß. Doch Hilbig setzte sich durch. Adornos Grundthese: “Jede Debatte über Erziehungsideale ist nichtig und gleichgültig diesem einen gegenüber, dass sich Auschwitz nicht wiederhole”, ergänzte er in seinem 1997 erschienen Buch Mit Adorno Schule machen: “Adorno wollte
der Besinnungslosigkeit die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Aufklärung entgegensetzen. Das reicht aber nicht. Neben der Aufklärung muss ein schulisches Leben installiert werden, das jene humanen und befriedigenden
Wirkungen zeigt, die aufgrund eines guten Lebens, ein aggressives Ausagieren von Versagen überflüssig macht.”
Für sein konkretes Ausbildungsprogramm hat Hilbig auch Gedanken von anderen Philosophen übernommen, etwa von Bloch
den Begriff des “Wärmestroms”. Nach Bloch entsteht durch irrationale Versagungen Kälte - das, was Schülern in normalen Schulen widerfährt. “Die herrschende, immer noch autoritäre Schule belehrt,
sie nötigt zum Unterricht auf höchst künstliche und anstaltsmässige Art; mit Zwang, Klingelzeichen, Dreiviertelstundentakt, Noten. Schule provoziert so geradezu zu gewalttätigem Handeln” erklärte Hilbig
gegenüber der Berliner Tageszeitung.
Wie die Alternative aussieht, zeigte Hilbig
an der Expo in Hannover. Am Beispiel von Japan stellte die Schule ihr didaktisches Konzept der “Inszenierung von Lebenswelten” vor. Sechs Monate lang beschäftigten sich die Schülerinnen und Schüler in 28 Einzelprojekten intensiv mit dem Land: jeden Schultag. Anstatt sie zu überfliegen, so das Konzept, wird in die Gegenstände eingetaucht. Dieser Projektunterricht findet neben dem “normalen” Unterricht mit Mathematik, Deutsch und Englisch statt. Und wer nach vier obligatorischen Stunden nicht mehr mag, darf den Unterricht verlassen und frei im Schulhaus arbeiten. Einen Zwang, in der Schulklasse bleiben zu müssen, kennt man in Elze nicht. Die Universität Oldenburg hat die Schule untersucht und ist zu einem positiven Schluss gekommen: “Gleich beim Betreten des Schulgebäudes fällt die lockere und freundliche Grundstimmung unter den SchülerInnen auf”.> (S.65f.)
Aus der Zeitschrift “Information Philosophie” 2/2001, S.65f.. Darin unter
dem Stichwort “Unterricht” die Unterrubrik “Bundesländer” und daselbst wiederum der Artikel “Niedersachsen” (S. 65-66.)
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